Johanna unter dem Eis

Was andere umbringen würde, rettet sie: Johanna Nordblad taucht ohne Atemgerät in winterkalte finnische Seen. Sie findet in der Tiefe: Heilung. Und Frieden.

Eigentlich müsste Johanna Nordblad tot sein. Ertrunken, erstickt, erfroren. Seit Minuten ist sie unter der Eisdecke verschwunden. In der Tiefe des Sees gibt es keinen Sauerstoff, kein Licht, kein Leben. Für normale Menschen sind solche Tauchgänge der sichere Tod. Für Johanna Nordblad waren sie die Rettung.

Eine verschneite Landschaft im Süden Finnlands: weiß bestäubte Tannen, ein Himmel wie heller Granit. Dahinter der See, glatt, weiß – erstarrt. Das Eis ist zehn Zentimeter dick und hart wie Glas. Irgendwo darunter schwimmt Nordblad.

Längst müsste ihr die Luft ausgegangen sein – da taucht sie plötzlich auf. Streckt den Kopf aus dem Eisloch, ihrem Ein- und Ausstieg zum See. „Wie schön es dort unten ist“, sagt Nordblad. Sie lächelt.

Die meisten Menschen scheuen die Kälte. Meiden Minusgrade, mummeln sich ein, fliehen in beheizte Räume und an Kamine.

Johanna Nordblad sehnt den Frost herbei wie andere die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Sobald die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt, setzt Nordblad sich in ihren Van und fährt an einen von Finnlands 190.000 Seen. Dort sägt sie Löcher ins Eis, holt tief Luft und verschwindet im eiskalten Wasser. Minutenlang bleibt sie unter der Eisdecke, mit nichts als einem tiefen Atemzug.

Die meisten Menschen fürchten sich davor, im Eis einzubrechen. Johanna Nordblad taucht freiwillig darunter ab. Warum tut sie das? Und wie schafft sie es, dabei nicht zu ertrinken, zu ersticken oder zu erfrieren?

Es ist ein kalter Januarmorgen, und die Nacht hat Schnee gebracht. Er hüllt die Baumwipfel ein, hat sich über die Waldwege gelegt. „Verdammt“, sagt Nordblad. Sie steht am Ufer des Sonnanen, eines Sees im Süden Finnlands. Nordblad legt den Kopf schief. „Ich muss von vorne anfangen.“

Johanna Nordblad, 42 Jahre alt, hat die Ausstrahlung einer Amazone. Ihre Arme sind sehnig und muskulös wie die eines Schreiners. Das dunkelbraune Haar fällt ihr in Wellen auf die kräftigen Schultern. Linien durchziehen Nordblads Gesicht. Sie könnten von herzhaftem Lachen stammen oder von den Schmerzen, die Nordblad in den vergangenen Jahren gespürt hat. Auf Nordblads Schulter ruht eine Säge, lang und dünn wie ein Speer.

Johanna jagt nach einem Gefühl

Gestern hatte Nordblad damit ein Loch ins Eis gesägt: fünf Meter lang, einen Meter breit. Als sie fertig war, dämmerte es. Nordblad beschloss, den Tauchgang auf den Morgen zu verschieben. Nun ist es hell – und die freigelegte Bahn wieder gefroren.

Streng blickt Nordblad über das Wasser. Dann macht sie ein paar Schritte über den gefrorenen See und rammt das Blatt in den Untergrund. Immer wieder stößt sie die Säge ins Eis wie eine Harpune.

Nordblad jagt nach einem Gefühl. Nach der Erlösung, die ihr ein Tauchgang im eisigen Wasser verspricht.

Fast acht Jahre ist ihr Unfall nun her. Acht Jahre, in denen Nordblad lernte, die Kälte zu lieben. Ihr dankbar zu sein wie einer Freundin in der Not. „Sie hat mich befreit“, sagt Nordblad.

Im Frühsommer 2010 hatte Johanna Nordblad sich zum Mountainbiken verabredet. Die Wochen zuvor waren ermüdend gewesen: Nordblad ist Designerin, in jenem Frühjahr gestaltete sie die Süßigkeiten-Stände eines Freizeitparks. Nordblad malte übergroße Wälder, in denen Bonbons wuchsen, und vermisste die Natur.

Deshalb freute sie sich auf die Mountainbike-Abfahrt, auch wenn das Wetter nicht optimal war. Seit Tagen hatte es geregnet: Die Piste war rutschig und aufgeweicht. Nordblad erinnert sich, dass sie ganz vorsichtig fuhr, und trotzdem oft stürzte. War die Witterung schuld? Der Stress bei der Arbeit?

Als Nordblad auf einem Waldweg halten wollte, kippte ihr Bike plötzlich nach links. Dann spürte sie einen Schmerz im Bein, so heftig, als berste der Knochen. Nordblads linkes Pedal war am Fuß fixiert gewesen. Beim Sturz brach es ab – mit einer Wucht, die den Fuß mitriss. Nun hing er an ihrer Wade, lose wie eine verrutschte Socke.

Johanna Nordblad hat keine Angst vor Schmerzen. Sie liebt Extremsport und dehnt dafür die Grenzen des Menschenmöglichen. Als Freitaucherin hat Nordblad Rekorde aufgestellt: Sie kann fast 200 Meter weit schwimmen, ohne einmal zu Luft holen. Mehr als sechs Minuten hält Nordblad dafür den Atem an. Ohne Sauerstoffflasche und Schutzausrüstung taucht sie in Tiefen, die anderen das Trommelfell zerdrücken würden. Ihre Bestmarke sind 56 Meter, was der Höhe eines zehnstöckigen Hauses entspricht.

Nordblad weiß, dass der menschliche Körper Unglaubliches vollbringen kann. Dass Schmerz oft nur eine Tür ist, durch die man hindurchgehen muss, um in den nächsten Raum zu gelangen.

Doch an jenem Sommertag begann ein Schmerz, der keinen Sinn zu haben schien. Der Nordblad nichts lehrte, sondern sie nur quälte. Jahrelang.

Der Schienbein-Knochen in Nordblads linkem Bein war gesplittert: Er hatte sich verdreht wie ein Tuch, das man auswringt. Die Ärzte gaben Nordblad Morphium – trotzdem schrie sie bei jeder Bewegung. Weinte sich im Krankenhaus jede Nacht vor Schmerz in den Schlaf.

Freitaucher sind Meister der Extreme

Als man Nordblad nach zehn Tagen entließ, konnte sie nicht einmal auf Krücken laufen. Um vorwärtszukommen, musste sie kriechen: Nordblad drehte sich auf den Rücken und zog die Beine hinter sich her. Den Sommer 2010 verbrachte sie im Haus ihrer Mutter. Sie schlief viel und träumte davon, irgendwann wieder gehen zu können.

Freitaucher sind Meister der Extreme. Wenn sie in die Tiefe sinken, aktiviert der Organismus den Überlebensmodus: Das Herz schlägt nur noch halb so oft, das Blut verlässt Arme und Beine und strömt ins Innere. Wenn der Sauerstoff zuneige geht, folgt ein Moment der Trance. Er ist das letzte Warnsignal vor dem Blackout. Erfahrene Taucher steigen jetzt auf. Laien werden ohnmächtig.

Nordblad hat jahrelang trainiert, um in solchen Momenten nicht in Panik zu geraten. Nicht die Beherrschung zu verlieren, auch wenn der Körper krampfen oder bewusstlos werden möchte. Freitaucher vollbringen Leistungen, die vor Jahren als unmöglich galten. Auch Nordblad sagt, dass sie sich früher niemals hätte vorstellen können, wozu ihr Körper heutzutage im Stande ist.

Ihre Beharrlichkeit half ihr auch nach dem Unfall. Sie zwang ihren Körper zu heilen, so wie sie ihn normalerweise zwang, fast ohne Sauerstoff zu überleben. Ende 2010 konnte Nordblad auf Krücken gehen. Im Jahr darauf saß sie wieder auf dem Fahrrad.

Doch zum ersten Mal war Nordblads Wille nicht genug. Tagsüber konnte sie das Pochen im Bein unterdrücken. Wenn sie schlief, fuhr der Schmerz ihr ins Bein wie ein böser Traum. Manchmal glaubte Nordblad, der Knochen breche erneut. Oder sie spürte ein Jucken, das sich unter der Haut ausbreitete, und sich nicht wegkratzen ließ. Jede Nacht war ein Martyrium.

Nordblads Knochen waren zusammengewachsen, ihre Nervenbahnen aber heilten kaum. Ein Mittel dagegen gab es nicht. Ein Arzt riet Nordblad schließlich, ihr Bein in kaltem Wasser zu baden: fünf Minuten bei vier bis acht Grad. Es gebe keinen Beweis, dass Kälte den Schmerz dauerhaft lindern könne, sagte der Arzt. Aber manchmal helfe sie.

Wie ein Tier in seinem Habitat

„Ich habe ihm nicht geglaubt“, erzählt Nordblad acht Jahre nach dem Unfall, während sie das Eis sägt. In diesem Winter verbringt sie fast jedes Wochenende hier. Nordblad liebt den Sonnanen. Das Wasser ist so klar, dass man bis auf den Grund blicken kann. Im Sommer liegen Ausflügler am Ufer, doch im Winter, wenn das Eis über den Sonnanen kriecht, hat Nordblad ihn oft für sich.

Das Raspeln von Nordblads Säge hallt über den See und durch den einsamen Wald. Sie schneidet die Schwimmbahn frei, dazu ein dreieckiges Loch in zehn Meter Entfernung. Die Öffnungen verbindet sie mit einem Seil, hellgelb, sodass sie es unter Wasser sehen kann.

Manchmal schwimmt sie im Badeanzug, heute entscheidet sie sich für Neopren. Das schwarze Material spannt über ihren Körper, bedeckt sie vom Scheitel bis zu den Fesseln. Nordblad streift sich wasserdichte Handschuhe über und schlüpft in ihre Surfschuhe. Zum Schluss setzt sie die Tauchermaske auf. Dann lässt sie die Beine ins Eisloch baumeln. Dabei sieht sie aus wie ein Fabelwesen: nicht mehr Mensch, aber auch nicht Tier.

Das Wasser war immer ihr Element: Das wusste Nordblad schon als Kind. Als Sechsjährige wünschte sie sich orangenfarbene Taucherflossen. Manchmal trug sie die Flossen auch an Land. Sie verbrachte jedes Wochenende im Schwimmbad und nervte den Bademeister, wenn sie alleine stundenlang im Becken blieb.

Das Tauchen entdeckt Nordblad erst als Studentin. Anfangs nutzte sie ein Sauerstoffgerät, doch das Rauschen des Atems störte sie. Ihre Bestimmung fand sie erst, als der damalige Mann ihrer Schwester im Jahr 2000 die erste finnische Freitauch-Gruppe gründete und Nordblad zum Training einlud.

Johanna Nordblad erinnert sich bis heute, wie es war, zum ersten Mal die Luft anzuhalten. Sie holte Atem, überwand den Auftrieb mit einigen Armzügen und sank dann zum Grund. Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich verlangsamte, ihr Körper durch den Druck zu schrumpfen schien. Nordblad legte sich auf den Boden des Beckens, sah die Schwimmer über sich hinwegziehen und fühlte sie sich als Teil des Wassers, wie ein Tier in seinem Habitat.

Von da an tauchte sie mehrmals pro Woche. Als ihr Sohn geboren war, brachte Nordblad ihn Stunden vor der Arbeit zur Kita – so blieb ihr Zeit zum Trainieren. Das Wasser wurde Nordblads Refugium. Weil sie seine Farbe so liebte, strich Nordblad sogar den Holzboden ihrer Wohnung kobaltblau.

„Plötzlich explodierte der Schmerz“

Immer war das Wasser schwimmbadwarm: 25 bis 28 Grad sind für Menschen ideal, wenn sie sich möglichst lange im Becken aufhalten wollen. Sinkt die Temperatur, verbraucht der Körper mehr Sauerstoff – das kostbarste Gut von Freitauchern.

Johanna Nordblad hatte kaltes Wasser deshalb immer gemieden. Sie glaubte nicht, dass es ihr Leiden lindern könne. Doch der Schmerz ließ nicht nach. Die Ärzte waren ratlos und Nordblad verzweifelt.

Anfang 2013 setzte Nordblad sich an das Tauchbecken eines Schwimmbads in Helsinki. Das Wasser hatte sieben Grad, die meisten Menschen hielten es nur wenige Sekunden darin aus. Nordblad hängte ihren Unterschenkel hinein. Erst fühlte sie ein Kribbeln, dann ein Kneifen. „Plötzlich explodierte der Schmerz“, sagt sie. Ihr Knochen strahlte auf einmal so stark, dass Nordblad die Tränen liefen. Fünf Minuten hielt sie es im Wasser aus, dann zog sie das Bein zurück.

Schon als Kind weigerte sich Nordblad, körperliche Grenzen zu akzeptieren. Mit neun Jahren beschloss sie, im Winter das Springen aus großer Höhe zu üben. Erst hüpfte Nordblad vom Klettergerüst des Spielplatzes, dann vom Baum daneben. Schließlich kletterte sie auf das Dach ihres einstöckigen Elternhauses, und ließ sich in den Schnee fallen.

Seitdem weiß Nordblad, dass Angst vergeht, wenn man sich ihr langsam nähert. Dass der menschliche Körper Undenkbares schaffen kann, wenn man ihn nur lässt.

Im Frühjahr 2013 fuhr Nordblad fast jeden Tag zum Schwimmbad und hielt ihren Unterschenkel in das kalte Becken. Am Anfang erfüllte der Schmerz sie vollständig, doch mit den Wochen zog er sich zurück. An seine Stelle trat ein Gefühl, das Nordblad sonst nur von tiefen Tauchgängen kannte. Die Kälte ließ Nordblad innerlich ruhig werden und zugleich wach und klar, als trete sie an einem Wintermorgen ins Freie.

Irgendwann hob Nordblad auch das rechte Bein ins Becken. Rutschte bis zu den Schultern ins Wasser. Schließlich versank sie ganz. „Es fühlte sich an, als würde mein Körper erst herunterfahren und sich dann neu starten“, sagt Nordblad.

Menschen sind eigentlich nicht für kaltes Wasser gemacht: Es entzieht uns Wärme. Bei einem Grad Celsius sinkt die Körpertemperatur im Wasser 25 Mal schneller als an der Luft. Das Blut strömt aus Händen und Füßen uns Innere, damit die lebenswichtigen Organe keinen Schaden nehmen.

Deshalb reagiert der menschliche Körper auf eiskaltes Wasser mit einem Schockreflex: Sensoren an der Hautoberfläche lösen eine Art innere Panik aus. Das Herz rast, der Organismus lechzt nach frischem Sauerstoff. Untrainierte Menschen können in diesem Zustand den Atem nur wenige Sekunden lang anhalten.

„Was, wenn alles ganz anders ist?“

Nordblad hat ihrem Körper abtrainiert, auf Kälte mit Panik zu reagieren. Dabei spürt auch sie zunächst einen Schock, wenn sie ins Eiswasser sinkt. Doch die Finnin weiß, dass das Gefühl vergeht. Dann atmet Nordblad tief, entspannt ihren Brustkorb. Wenn der Schreck weicht, bleibt nur die Kälte zurück, rein und klar wie ein Diamant.

Wir hätten gelernt, dass Kälte etwas Schädliches sei, sagt Nordblad, so wie wir gelernt hätten, drei Mal am Tag zu essen und acht Stunden zu schlafen. „Aber was, wenn alles ganz anders ist?“

Was passiert, wenn wir weniger schlafen oder unregelmäßiger essen? Wenn wir öfter frieren und seltener atmen? „Sterben wir dann?“, fragt Nordblad. Oder passen wir uns vielleicht an? Forscher vermuten, dass wir bis heute in der Lage wären, Dinge zu tun, die wir nur noch von Tieren kennen.

Es gibt Hinweise darauf, dass der Mensch einen magnetischen Richtungssinn besitzt, wie ihn Vögel oder Schildkröten haben. Blinde können lernen, Hindernisse mit Hilfe von Schallwellen zu erkennen, eine Orientierungshilfe, die Wale nutzen. Manche Wissenschaftler sagen: Der Mensch verfüge über Sinne, die ihn tauchen und im Wasser sehen lassen können, wie Meerestiere es tun. Wir hätten schlicht verlernt, wie man diese Sinne benutzt.

Die Kälte, sagt Johanna Nordblad, habe sie verändert. Eine innere Mauer verschoben, die eine neue Tür freigab. Wohin diese Tür führte, wusste Nordblad nicht.

Sie hat sich beigebracht, Kälte als neutrales Gefühl zu empfinden, vor dem man keine Angst haben muss. Als ihr Verstand aufhörte, sich davor zu fürchten, veränderte sich auch die Reaktion ihres Körpers. Kälte löst bei Nordblad keinen panischen Überlebenskampf aus, sondern innere Ruhe.

Die Kälte betäubt und betört sie

Als im Winter 2014 der erste Schnee fiel, tauchte Nordblad jede Woche im Außenbecken ihres Schwimmbads. Wenn sie wieder an die Oberfläche kam, fühlte sie die Schneeflocken auf ihrer Haut. Doch Nordblad spürte keinen Wunsch, das Becken zu verlassen. Obwohl es nur wenige Grad kalt war, blieb sie manchmal vierzig Minuten im Wasser.

Irgendwann kam das Eis hinzu.

Nordblad taucht am liebsten in natürlichen Gewässern, und weil es in Finnland so viele Seen gibt, lag es nahe, sie auch im Winter zu nutzen. Gemeinsam mit einem Freund sägte sie Löcher ins Eis. Verband sie mit einem Seil, in das sie mit einem Karabiner ihren Ärmel einklinkte, um nicht abgetrieben zu werden.

Die Welt unter dem Eis ist so still, als sei man begraben. Weil der Schnee das Licht blockiert, beginnt das Dunkel schon nach wenigen Metern. Man spürt, dass dies kein Ort für Menschen ist. Doch Johanna Nordblad liebt das Knacken des Eises, wenn jemand darauf geht. Die Muster, die die eingeschlossene Luft im Eis zeichnet. Die Dunkelheit, die sie umgibt wie eine Decke. Und die Kälte, die Nordblad betäubt und betört, die sie gleichzeitig in den Schlaf zu wiegen und wachzurütteln scheint.

Mit jedem Sprung ins Eis gewöhnte sich Nordblads Körper mehr an die Extreme. 2015 brach sie den Weltrekord der Frauen: Sie tauchte 50 Meter weit, ohne Neopren-Anzug oder Flossen. Im März will sie den Rekord der Männer brechen und 80 Meter unter dem Eis schwimmen, bei einer Wassertemperatur von einem Grad. Den meisten Menschen geht bei solcher Kälte nach Sekunden die Luft aus. Nordblad müsste für den Rekord mehr als zweieinhalb Minuten durchhalten.

Sie hat Sicherheitsseile und Zwischenlöcher, die sie ansteuert, falls ihr die Kraft nicht reicht. Trotzdem könnte jeder Tauchgang sie töten. Wenn das Seil reißt oder sich der Karabiner löst, wenn sie sich verheddert oder ohnmächtig wird, ist es aus.

Dennoch spürt Nordblad keine Angst, wenn sie, wie jetzt, am Rand des Eislochs sitzt und die Beine ins Wasser hält. Bevor sie abtaucht werden ihre Gesichtszüge ganz ruhig, als würde sie beten. Dann lässt Nordblad sich fallen und verschwindet.

„Wenn Du ein Tier wärst, Johanna, welches wärst Du dann?“ Sie lächelt. „Ich wäre das Tier, das ich bin“, sagt sie. „Ein Mensch.“

Foto: Elina Manninen

Erschienen in GEO Adventure.

 

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